Donnerstag, 6. Mai 2010

Gesellenstücke


Der damals junge Glaser fährt heute vielleicht ab und zu mit seinen Enkelkindern hier vorbei und zeigt ihnen sein Gesellenstück. Ansonsten hat er Kreuzberg abgeschworen. Genießt seine Rente im Rudower Eigenheim, wie viele Handwerker mit Familie aus der Ecke zwischen Gneisenau- und westlicher Oranienstraße, die Ende der Siebziger genug für ein kleines Haus gespart hatten und hier weg wollten.
Wie der Vater der süßen C., Maurer, und der von Old A., Feuerwehrmann. Mehr als eine Handvoll meiner Freundinnen und Freunde waren zur Zeit der Abwanderung nach Rudow schon an Kreuzberger Oberschulen angemeldet (in Berlin ab 7. Klasse) und mussten also jeden Tag mit Bus und U-Bahn hin und zurück. Ich bin mir nicht sicher, ob sie, bis zur Halskrause in der Pubertät, den kleinen Garten hinter dem Eigenheim und die winzigen Zimmer als angemssenen Gegenwert dafür betrachteten. Das werde ich A. demnächst fragen. Als Gast mit Übernachtungsmöglichkeit aber war es ganz schön dort, das Grillen, Federballspielen und im Partykeller heimlich mit Vater Maurers Whiskey zu feiern.
Oranienstraße 64 steht das Haus mit dem Werk aus schwarzem Glas.

22 Kommentare:

Angie hat gesagt…

dieses Werk aus schwarzem Glas sieht interessant aus...
Deine Geschichte dazu macht mich auch sehr neugierig!
Kreuzberg den Rücken gekehrt...
spießiges kleines Eigenheim (Reihenhaus!?) in Rudow!?
Das wollte wohl keiner von uns in Kreuzberg der Siebziger...

Mary hat gesagt…

Komisch, jetzt fallen auch mir eine Menge Leute ein, die Ende der 70er aus Kreuzberg weg gezogen sind. Nicht alle in ein Haus am Stadtrand, aber doch wenigstens in schickere Wohnungen in etwas "nobleren" Gegenden wie Steglitz oder Zehlendorf. Mich hätten ja damals keine 10 Pferde aus Kreuzberg weg bringen können.
Und war das nicht dann auch kurze Zeit später der Kult-Berirk für Punk und Neue Deutsche Welle?
Ich kann mich gut an die Cafés am Fraenkel-Ufer erinnern, wo Nina Hagen, David Bowie, Morgenrot, Anette Humpe etc. dauernd abhingen. Ach ja, Kreuzberg....

monarchie_und_alltag hat gesagt…

Oh ja, die gute alte Zeit!! War schon alles besser, damals (ach...)
Wie sang noch mal Annette H. dereinst:

"Oranienstraße, hier lebt der Koran,
dahinten fängt die Mauer an.
Mariannenplatz rot verschrien,
ich fühl' mich gut, ich steh' auf Berlin!
...
Auf dem Gehweg Hundekot,
ich trink Kaffee im Morgenrot.
Später dann in die alte Fabrik,
die mit dem Ost-West-Überblick. "

Mary hat gesagt…

Ja, genau! Das "Morgenrot" am Fraenkelufer! Und das "Exil", da war olle Bowie oft.
Der Sohn von Annette Humpe (der Anton)geht in die gleiche Klasse, wie meine Tochter Y. und daher sehe ich sie hin und wieder noch, aber sie ist ja noch voll im Geschäft mit ihrem "Ich & Ich".
Ach, es ist toll, wenn man sich mal ab und zu über die alten Zeiten austauschen kann.

Mary hat gesagt…

An H.: In der Oranienstr. 64 wohnte und wirkte damals der Komponist Paul Lincke, natürlich ist nach'm Krieg das Haus anders aufgebaut worden. Aber eine Gedenktafel ist an dem Haus angebracht, die haste bestimmt gesehen.
Kennst du den Glaser, der dort die Scheiben eingesetzt hat?

Angie hat gesagt…

ja,
kennst Du nun diesen Glaser!?
Kreuzberg früher und jetzt,
immer irgendwie besonders!

H. hat gesagt…

Eigentlich wollte ich ein wenig über Dekoration am Bau spekulieren, bin dann aber abgeschweift, weil die Gegend mal ein Nest meiner Jugendbekanntschaften war. Nestwärme eines "Kiezes" allerdings haben die Anwohner dort sicher nicht verspürt, in den hingepflanzten Neubauzeilen wie Otto-Suhr-Siedlung. Ging eher Richtung Problemzone. Das war nicht das inzwischen romantisch verklärte Bowie-Kreuzberg weiter östlich. Deshalb finde ich es eigentlich verständlich von den Eltern, es sich und ihrer Familie etwas schöner machen zu wollen. In einen Altbau zu ziehen, wäre für sie ein zivilisatorischer Rückschritt gewesen, mit den damals noch häufigen Ofenheizungen und Außenklos. Trotzdem wollten die Kinder wohl eher nicht nach Rudow, kann gut sein.
Den Glaser kenne ich nicht - reine Prosa-Erfindung.

Angie hat gesagt…

Nestwärme...
wo gibt`s die noch...?!

Kuckuck hat gesagt…

mal kucken.

angie hat gesagt…

das will ich jetzt wissen,
echt,
wer wagt es, sowas zu schreiben!

Mary hat gesagt…

An H.: Ich mag diese Prosa- Erfindungen. Oft stelle ich mir solche Geschichten vor, wenn ich alte Gebäude, Schlösser oder sogar Bäume sehe. Dann mal ich mir die Begebenheiten aus, die sich um diese Dinge damals so abgespielt haben mögen. Oder ich überlege, was der Baum schon so alles erlebt hat.
An Angie.: Was meinst Du mit "sowas"?
Und ich finde, es gibt noch Geborgenheit. Also, ich zum Beispiel fühle mich immer geborgen, wenn ich liebe Menschen um mich habe,vor allem meine Kinder, Geschwister, die Mutter. Und außerdem versuche ich meinerseits ihnen Geborgenheit zu geben und sowas kommt doch zurück. Merkwürdiger Weise fühle ich mich tatsächlich aber auch an bestimmten Orten geborgen, meistens in Kreuzberg. Das machen die Kindheits- und Jugenerinnerungen.

Kai hat gesagt…

Morgenrot war doch Paul-Lincke-Ufer wo jetzt das Kirk Royal ist, oder? Fraenkelufer 48 lungere ich jetzt seit etwa zehn Jahren rum – mal schauen, ob's da später mal eine Gedenktafel gibt.

Mary hat gesagt…

An Kai: Oder Paul-Lincke-Ufer, ja, ich verwechsele immer diese beiden Ufer da am Kotti. Das wird aber schlecht mit "Schauen, ob's da später eine Gedenktafel gibt". Denn die wird gegebenenfalls erst nach dem Ableben des rum lungerden "Promis" installiert, oder?

Kai hat gesagt…

Dann schaut ihr halt mal...

Angie hat gesagt…

zum Kuckuck,
wer ist schon "Kuckuck"!?
wollte ich schreiben...

Dekoration am Bau!
Das ist, was mich sehr angesprochen hat, weil man selten sowas Schönes in diesem Umfeld sieht!

und:

na klar,
wir schaun halt alle mal...
schadet ja nicht...!!!

H. hat gesagt…

Na mal schauen, wer wann nach wessen Gedenktafel suchen darf. Hat von mir aus keine Eile.

Deko am Bau - zwiespältig. Besser, der Bau kommt ohne aus. Bilder(Fresken, Mosaike, Bleiglas) verschleißen ästhetisch schneller als Architektur, finde ich. Wegen ihrer ständigen öffentlichen Präsenz dominiert schon nach einigen Jahren das politische Klima ihrer Entstehungszeit den Eindruck. Da gibt es seichte Erbauungsbilder mit idyllischen Arbeiterfamilien und abstrahierte Blümchen (wie oben) aus der Nachkriegszeit, oder Streetfighter im Regenbogen an ehemals besetzten Häusern.
Die Fünfziger waren in Hinsicht industrieller Aufbruchstimmung "von unten" übrigens kein Monopol der sozialistischen Staaten. Das badische Pforzheim an der Westgrenze Deutschlands ist fast ein Museum für Bauten dieser Zeit, inklusive Außenwanddekor.
Heute machen das die Jungs und Mädels von der Graffiti-Fraktion. Den riesigen Astronauten in der Skalitzer sehe ich ganz gerne an der Brandmauer schweben. Auch weil ich weiß, dass er dort mit Sicherheit nicht so lange zu sehen sein wird wie die alten Schinken.

angie hat gesagt…

Deiner Meinung nach verschleißt sich also die Deko am Bau schneller als die Architektur!
Interessante Sichtweise...
Vor allem, ist denn die Architektur trennbar von der zeitgenössischen Deko!?

pro Verschleiß hat gesagt…

Gerade dieser Verschleiß ist doch das schöne, der gibt den Sachen/Gebäuden doch genau das Gesicht, durch das ihre zeitliche (zeitgeschichtliche!) Einordnung möglich ist. Also ich steh da drauf.

Angie hat gesagt…

schöne Beschreibung...
für Sachen und Gebäude jedenfalls!

M. Schrader hat gesagt…

Für Gesichtsbaracken eher nicht.

a.k. hat gesagt…

tja,
Du sagst es, wie es ist...
aber,
es gibt auch männliche Baracken..!
gell!?:)

H. hat gesagt…

zum Verschleiß: Klar, kann man Gebäude und Gegenstände (bei denen ist es noch leichter) auch so gestalten, dass sie nach ein paar Jahren kaum noch zu ertragen sind. Wird ja auch gemacht. Kann man in London bei den Docklands sehen, oder in Berlin an allem, was getönte Scheiben hat und nach uniformer Shopping Mall aussieht. Hier müsste man ins Detail gehen und den einen oder anderen Doktor der Architektur mal konsultieren.

Mir fallen dazu auch die Altbauten ein. Stehen seit etwas über Hundert Jahren rum und waren innen meistens mit Zier-Stuck ausgestattet und diesen kassetierten Türen. Selbst der Stuck und die Türen, die den Krieg überstanden hatten, wurden sehr oft beseitigt und geglättet, weil viele Menschen diese ganzen Schnörkel zu altmodisch fanden. Die Häuser wurden aber deswegen nicht gleich alle abgerissen.

 
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